Fachpressetag 2022: Ohne Führung geht es nicht
Extrem-Bergsteigerin Evelyne Binsack auf dem Internationalen Roto Fachpressetag / In resilienten Organisationen wird professionell geführt / Starke und schwache Persönlichkeiten erkennen / Kraft der Spiegelneuronen beachten / Verantwortung übernehmen und übergeben
Rottach-Egern / Leinfelden-Echterdingen – Selbst gesetzte Ziele zu erreichen, erfülle Menschen mit Zufriedenheit. Ziele trotz vieler Schwierigkeiten zu erreichen, erfülle sie zusätzlich mit Dankbarkeit, sagt die Schweizer Extrem-Bergsteigerin Evelyne Binsack. Beobachtet habe sie das in Gruppen, mit denen sie als Bergführerin unterwegs war, aber natürlich auch an sich selbst. Sie trat als Gastrednerin auf dem Internationalen Roto Fachpressetag am 17. November auf. Am Rande der Veranstaltung entstand das folgende Interview.
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Frau Binsack, Sie sprachen in Ihrem Vortrag davon, dass Menschen ebenso wie Organisationen ihre Resilienz trainieren können und sollten, um auf ihrem Weg zum Ziel mit Hindernissen souverän umzugehen. Welche Rolle spielt Resilienz für Sie persönlich auf Ihren Reisen, Touren und Expeditionen?
Evelyne Binsack: Menschen, die sich mir als Bergführerin anvertrauen, dürfen und müssen eine ausgeprägte Resilienz bei mir als Person voraussetzen, also die Stärke, Probleme zu analysieren und zu überwinden. Ich muss die Fähigkeit besitzen, in ungünstigen Situationen Entscheidungen zu fällen, auch wenn diese für die Gruppe, die ich führe, wenig „sexy“ sind. Ich muss also Stärke und die Bereitschaft mitbringen, anderen nicht zu gefallen, ihren Erwartungen nicht zu entsprechen. Gleichzeitig muss ich bereit sein, im schlimmsten Fall selbst nicht zu reüssieren. Denn der Weg nach oben führt in den Bergen und eben auch im Leben fast immer zuerst über einen Weg nach unten. Wer dieses Gesetz kennt und akzeptiert, dem fällt es leichter, auf die zweite, dafür oft bessere Chance zu warten. Am Berg führt der direkte Weg oft in eine Sackgasse, aus welcher sich zu befreien sehr energieraubend sein kann oder sogar tödlich enden kann. Mit anderen Worten, Resilienz ist in vielen Situationen und erst recht im Berg das A und O.
Was kann ich als Individuum tun, um meine Resilienz zu stärken und so besser mit besonderen Herausforderungen zurechtzukommen?
Evelyne Binsack: Man muss zunächst lernen, sich selbst wahrzunehmen, ohne sich zu ernst zu nehmen. Wer sich selbst wahrnimmt, kann frühzeitig einen Kurs korrigieren, kann sich schnell mental neu ausrichten, das eigene Verhalten ändern und angepasst zielführend handeln. Wie geht das? Dafür hat der Mensch im Laufe seiner Zeit ein Ego entwickelt. Dieses Ego hat nichts mit Egozentrik oder mit Egoismus zu tun, sondern dieses Ego ist eingebettet in unsere Willenskraft. Die Willenskraft führt das Ego vice versa. Sie reflektiert auf Wirklichkeit und Realität und fördert die Fähigkeit, logisch, kohärent, aber auch abstrakt zu denken. Es ist die Willenskraft, die uns befähigt, Gefühle zu regulieren und Impulse zu kontrollieren. Schließlich stärkt die Willenskraft das eigene Urteilsvermögen, die Fähigkeit zur Abgrenzung ebenso wie die Fähigkeit zu synthetisieren, also hilfreiche Meinungen anderer, unterstützende Fähigkeiten anderer, korrigierende Glaubenssätze anderer etc. zu integrieren. Wer seine Resilienz stärken will, sollte also genau anschauen, wie es um die eigene Willensstärke bestellt ist.
Auch in der modernen Managementtheorie spielt der Begriff der Resilienz eine wichtige Rolle. Organisationen und Unternehmen wollen ihre Resilienz erhöhen. Welche Rolle spielt dafür die Resilienz der einzelnen Mitarbeitenden?
Evelyne Binsack: Eine große Rolle. Organisationen oder besser: Die Führungskräfte der Organisationen stärken die Resilienz der Mitarbeitenden, indem sie ihnen den Rücken stärken. Führungskräfte sollten „in den Schuhen“ der Mitarbeitenden gehen und wahrnehmen, wo sie stehen, was ihnen fehlt, was sie sehen und wissen können. Denn nur dann unterstützen sie auf Augenhöhe. Die Mitarbeitenden erleben sich gleichzeitig als wahrgenommen und werden ihren Beitrag zum Erfolg, zur Zielerreichung leisten. Alle schauen in die „gleiche Richtung“ und verfolgen ihr gemeinsames Ziel. Natürlich muss das Ziel dafür allen ganz klar sein. Erst wenn alle in die gleiche Richtung schauen, geht eine gute Führungskraft in die Offensive und bei Bedarf auch in eine Konfrontation, um Einzelne zu fordern und zu fördern. Das ist der schwierigste Teil des Prozesses, denn nun geht es um Eigenverantwortung und Verantwortung, die übergeben wird.
Wenn dieser Prozess nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam vonstattengeht, gibt jeder in einem Team sein Bestes. Jede und jeder darf stolz auf sich als Teil des Ganzen sein, jede und jeder fühlt sich verantwortlich, aber auch eingebettet. Mitarbeitende sollen sich mit dem Unternehmen identifizieren, so das Ziel der meisten Arbeitgeber. Das bedeutet aber auch größere Verantwortung. Denn wer sich identifiziert, lässt gegenseitige Abhängigkeit zu, sowohl mental, emotional als auch vom Know-how her und letztlich oft auch finanziell, denn Know-how bedeutet auch (Geld)-Wert.
Wie kann die Resilienz eines gut eingespielten Teams, eines Unternehmens weiter verbessert werden?
Evelyne Binsack: Hier möchte ich an eine bekannte, aber oft vergessene Einsicht erinnern. „Jedes Team ist nur so stark wie sein schwächstes Mitglied.“ Es ist meine Aufgabe als Bergführerin und auch die Aufgabe jeder Führungskraft, eine gewisse Homogenität in ein Team zu bringen, damit sich der Schwache nicht über- und der Starke nicht unterfordert fühlt. Das heißt nicht, dass der Schwache keinen Platz im Team hat. Das heißt nur, dass man sich bewusst machen muss, dass die Bedürfnisse eines Schwachen das ganze Team schwächen. Das geschieht unbewusst. Die Spiegelneuronen im Gehirn sorgen für eine Anpassung sowohl in Richtung der Schwäche als auch der Stärke.
Von flachem Führungsstil halte ich deswegen nur in „Schönwetterperioden“ etwas. Bei Sturm und Kälte muss zwingend eine absolut fähige Führungskraft mit großem Know-how die Verantwortung, die Navigation und die Ansage übernehmen. In der Krise ist es zwingend, schwächere Personen hinter starke Personen zu platzieren, damit die Schwäche nicht anfängt, sich auf andere im Team zu übertragen. Sie kennen es: Wer negativ denkt, spricht und handelt, stachelt damit andere an. Das ist die Wirkung der Spiegelneuronen. Wenn wir deren Rolle kennen, nutzen wir als Führungskraft die Spiegelneuronen bewusst und stellen zu jeder schwächelnden Person eine starke. Resilienz im Team hat also sehr viel mit der Führungsqualität im Unternehmen zu tun. Es gibt ein holografisches Gesetz: „Wie oben, so unten.“ Und wenn man genau hinschaut, wird die Wahrheit dieser Gesetzmäßigkeit früher oder später immer offenkundig.