15.11.2017

Fachpressetag 2017: Europa geht auch mit „zwei Geschwindigkeiten“

Wichtiger Hinweis:

Aufgrund kurzfristig anberaumter dringender Sondierungsgespräche in Berlin hielt nicht wie angekündigt Herr Alexander Graf Lambsdorff das Referat „Herausforderung ‚Europa’ – Baustellen und kein Ende?“, sondern Frau Renata Alt. Frau Alt ist FDP-Bundestagsabgeordnete, u. a. auf Außenpolitik spezialisiert und Mitglied im FDP-Bundesfachausschuss Internationale Politik. Die Presseinformation weist noch auf Graf Lambsdorff als Referenten hin – bitte ändern Sie die Texte bei einer möglichen Verwendung entsprechend ab. Inhaltlich sind sie uneingeschränkt gültig, da Frau Alt die gleichen europapolitischen Auffassungen und Forderungen wie Graf Lambsdorff vertrat.


Graf Lambsdorff bei Roto: Europa wieder auf Kurs bringen / Drei große Risiken / Eurozone reformieren / Staaten-Insolvenz zulassen / Populismus und Protektionismus stoppen / EU hält Brexit aus / Frankreich und Niederlande machen Mut / Strategisches Umfeld belastet / Beitrittsgespräche mit Türkei beenden / Bürgern Mehrwert bieten

Europa geht auch mit „zwei Geschwindigkeiten“

Leinfelden-Echterdingen/Böblingen – (rp) Gerade in den gegenwärtig unsicheren Zeiten kommt es darauf an, Europa wieder auf Kurs zu bringen. Dazu tragen abstrakte Diskussionen über „mehr“ oder „weniger“ Europa jedoch nicht bei. Stattdessen wollen die Bürger eine EU, die wirklich funktioniert und ihren Interessen dient. So formulierte Alexander Graf Lambsdorff Mitte November 2017 vor europäischen Fachjournalisten die aus seiner Sicht zentrale Gemeinschafts-Aufgabe. Zugleich machte der ehemalige Vizepräsident des Europäischen Parlamentes während der Veranstaltung des internationalen Bauzulieferers Roto in Böblingen bei Stuttgart klar, dass der Weg dorthin mit zahlreichen Herausforderungen und Schwierigkeiten gepflastert sei. Deshalb müsse man auch den Mut zu „unpopulären Entscheidungen“ haben.

Der 51-jährige Politiker, der inzwischen dem Deutschen Bundestag angehört und als stv. Vorsitzender der FDP-Fraktion für Menschenrechte und Äußeres zuständig ist, wies vor allem auf drei aktuelle Destabilisierungs-Faktoren in Europa hin. So sei erstens die Eurokrise nach wie vor keineswegs gelöst. In der Eurozone gebe es konkreten Reformbedarf. Das u. a. von dem neuen französischen Staatspräsidenten Macron favorisierte gemeinsame Budget sieht Graf Lambsdorff aber kritisch. Das Vertrauen in den Euro hänge im Übrigen mehr von der Einhaltung akzeptierter Regeln als von der Zahl seiner Mitglieder ab. Während Länder wie Irland oder Spanien ihre Reformprogramme erfolgreich abgeschlossen hätten, seien in Griechenland noch viele Fragen offen. Zudem brauche man in der Eurozone die Möglichkeit einer „geordneten Staaten-Insolvenz“.

Als zweite große Gefahr für Europa nannte Graf Lambsdorff den Zulauf zu populistischen und nationalistischen sowie zu protektionistischen Bewegungen in vielen und zum Teil bedeutenden EU-Mitgliedsstaaten. Diese Entwicklung manifestiere sich u. a. im Brexit, der „fatale Fliehkräfte“ freisetzen könne. Das Ausscheiden von Großbritannien aus der Europäischen Union bedauere er als liberaler Europa- und Wirtschaftspolitiker „außerordentlich“. Dennoch stelle es „definitiv“ nicht das Ende der EU dar. Mit Blick auf Populismus und Protektionismus gebe es jedoch auch sehr positive Signale. Dazu gehörten die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden. Dort hätten Macron und Rutte die Bürger mit liberalen, zukunftsorientierten und marktwirtschaftlichen Programmen überzeugt.

Der dritte stark belastende Unsicherheitsfaktor resultiere aus dem strategischen Umfeld. Von Russland über die Türkei bis nach Afrika seien „extreme außenpolitische Herausforderungen“ zu konstatieren. „Zu ihnen kommt jetzt noch Donald Trump“, fügte Graf Lambsdorff ausdrücklich hinzu. Er sprach sich während des Roto-Pressetages zudem dafür aus, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden. Da die Regierung Erdogan die unverzichtbare Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit radikal eingeschränkt habe, könne das Land kein EU-Mitglied werden – „in Wahrheit will es das auch gar nicht“. Stattdessen plädiere die FDP dafür, mit der „stolzen Nation“ Türkei eine neue Form der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zusammenarbeit ohne „leere Versprechungen und gegenseitige Beschimpfungen“ zu finden.

Offen für unterschiedliches Tempo

Generell solle sich die EU auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie für die Bürger „einen Mehrwert leistet“. Als wichtige Beispiele dafür nannte Graf Lambsdorff die Sicherheit an den Außengrenzen, den Schutz vor Terrorismus, das Wachstum und die soziale Verantwortung in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung, die Erschließung neuer Märkte durch Freihandelsabkommen und die gerechte Verteilung der Flüchtlinge.

Ein Europa der „zwei Geschwindigkeiten“ sei durchaus tolerabel. Könne jeder Staat selbst entscheiden, wann und wie viel Souveränität er an die europäische Ebene abgebe, stehe am Ende ein flexibleres und damit nicht zuletzt effizienteres Europa, das nach wie vor das „beste Mittel zum Erhalt einer freiheitlichen Gesellschaft und einer sozialen Marktwirtschaft ist“.

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